Ohne Titel, 2014
Rahmen (Siena), 2012
Mit Anette Haas ist beim ›Treffpunkt Worpswede 2015‹ eine Künstlerin zu Gast, die 1996 ein Jahr als Stipendiatin auf dem Barkenhoff lebte und arbeitete. Bereits damals entstanden Bildobjekte, bei denen Wachs eine zentrale Rolle spielt.1
Wie Fenster. Rot. aus dem Jahr 2001 faszinieren diese skulpturalen Werke unter anderem dadurch, dass ihre Materialität und die Art ihrer Herstellung auf den ersten Blick verborgen bleiben. Das Trägermaterial, ungrundierter Nessel, wird durch Bearbeitung verfremdet, die Art der Installation verwandelt es aus der gewohnten Flächigkeit heraus zum dreidimensionalen Objekt. Haas lasiert den aufgespannten Nessel zunächst mit mehreren Schichten dünnflüssiger Acrylfarbe. Anschließend wird die Fläche so lange mit Wachs bestrichen, bis der Stoff gesättigt und die Farbe versiegelt ist. Mit dem Aushärten der Wachsschicht bekommt der Nessel, der auch mehrlagig sein kann, eine flexible Stabilität, die sein Biegen und eine entsprechende Installation erlaubt. Diese erfolgt punktuell: Im Fall von Fenster. Rot. fixieren lediglich vier Schrauben die beidseitig nach vorne umgeschlagene Stoffbahn, wodurch der Eindruck eines geschlossenen, zweiflügeligen Fensters entsteht; verstärkt wird dies durch den an ein Fensterkreuz erinnernden hellen Streifen unbemalten Nessels in der Objektmitte. Haas suggeriert ein ›Dahinter‹, lädt dazu ein, das Fenster imaginär zu öffnen. Ihr Interesse gilt der Idee des ›Durchschauens‹ – und dabei spielt nicht nur das eigene Sehen, sondern auch der Gedanke des möglichen Gesehen Werdens eine zentrale Rolle. Die Wachsarbeit Peep. 2. aus dem Jahr 2005, die im Zusammenhang mit einer der großen Farbrauminstallationen von Haas steht2, verweist auf dieses (voyeuristische) Moment. Die offene, nicht farbige Stelle des Nessels legt, wie der Bildname, die Assoziation mit einem Sehschlitz nahe.
Auch in aktuellen Arbeiten auf Bütten, etwa Zimtbraun aus dem Jahr 2014, klingt motivisch die Form des Fensters an. Wie bei ihren Wachsarbeiten oder Gemälden, gilt ein wesentliches Augenmerk der Künstlerin auch hier dem mehrschichtigen, lasierenden Auftrag unterschiedlicher Acrylfarbtöne, der – in diesem Fall mit Buntstiften überfasst – eine faszinierende Tiefenwirkung erzeugt. Nicht von Interesse ist die Struktur des Papiers selbst, ebenso wird eine pastose Flächigkeit der Farbe von Haas explizit vermieden; Emotion und Gestus stehen in ihrem Oeuvre nicht drängend im Vordergrund. Allen Werken gehen zahlreiche technische Proben und umfangreiche Skizzen voraus, Formate von Bildobjekten ergeben sich aus diesem experimentellen Arbeitsprozess.
1) Zu den vor und während des Barkenhoff-Stipendiums entstandenen Wachsarbeiten siehe auch: Barkenhoff-Stiftung Worpswede / Anette Haas (Hrsg.), Inlays, Berlin 199
2) Installation ›Kabinett Rouge‹ der gleichnamigen Einzelausstellung von Anette Haas, Allgemeiner Konsumverein e.?V., Braunschweig 2004. Vgl. dazu: Anette Haas – Così Rotondo, Begleitblatt zur Ausstellung im Mies van der Rohe Haus (19.11.2005–06.02.2006), Berlin 2005