Margund Smolka

Schnitte durchs Gesicht
Neue Arbeiten von Margund Smolka in der Galerie Hübner

Einem passionierten Bücherfreund, der schon ein Eselsohr an einer Buch­seite als Misshandlung empfindet, muss in der Frankfurter Galerie Hübner gegenwärtig das Herz bluten. Dort hat Margund Smolka eine Bücherwand installiert, auf der die Bücher zwar säuberlich nebeneinander stehen – aber nicht in der üblichen Weise als pfleglich behandelte Gegenstände besonderer Wertschätzung, sondern als in Scheiben geschnittene Objekte. Die Ein­zel­teile eines Buchs sind jeweils zu einem kompakten Block zusammengefasst. Statt wie gewohnt auf die Rücken des Einbands, schaut der Betrach­ter auf die Schnittflächen. Die Bücher wenden ihm gewissermaßen ihr stoffliches Inneres zu, ohne jedoch den geistigen Inhalt preiszugeben. Statt als leserliche Schrift sind die nur noch zu ahnenden Textkolumnen lediglich als zart vibrierende Muster auf den Schnittflächen wahrzunehmen. Trotz des re­spektlosen Umgangs mit dem wertvollen Kulturgut entsteht äußerlich nicht der Eindruck vandalischer Verwüstung. Die wandfüllende Installation bietet vielmehr das Bild penibler Ordnung. Nichts deutet auf einen Aus­bruch wilder Zerstörungswut hin. Die Bücher sind mit großer Sorgfalt zerschnitten. Ihr stoffliches Volumen wurde jeweils erhalten, nichts ist während des aufwendigen Verarbei­tungs­prozesses verloren gegangen.
Mit der gleichen Akribie zerschneidet Margund Smolka Fotos: Auf Trans­pa­rent­papier kopierte Schwarz-Weiß-Porträts werden durch quer über die Gesich­ter geführte Schnitte in exakt gleich schmale Lamellen zerteilt. Die so entstandenen jalousieartigen Papierbögen hängen locker vor Abzügen jeweils derselben Aufnahme. Auf diese Weise kommt eine Verdoppelung zu Stande. Dasselbe Gesicht ist einmal auf dem zerschnittenen transparenten Vorhang zu sehen, zugleich ist es undeutlich auf der Abbildung dahinter zu erkennen. So entsteht ein diffuser Eindruck. Die Köpfe sehen seltsam plastisch aus, gleichzeitig wirken sie unwirklich. Zwei farbige Foto-Objekte sind wesentlich großformatiger. Eine die ganze Breite eines Raums einnehmende Arbeit zeigt zweimal ein sich küssendes Paar. Diesmal nicht horizontal, sondern vertikal verlaufende Schnitte erzeugen einen facettenhaft gebrochenen Eindruck. Die Abstände zwischen den dünnen Bildstreifen werden zur Mitte hin immer größer, was als Verweis auf die Problematik von Nähe und Abstand und somit als formaler Bezug zur Inhaltlichkeit des abgebildeten Motivs gemeint ist. Die äußere Anmutung der Arbeit erinnert an die Collagen des tschechischen Künstlers Jirí Kolár, während die Bücher-In­stal­ation an die Objekte des Belgiers Denmark denken lässt.
Wie für diese beiden Collageure und Objektebauer ist auch Margund Smolkas bevorzugtes Werkzeug nicht Pinsel oder Stift, sondern das Messer. Bei allen ihren Arbeiten spielen Schnitte durch empfindliche Sachen oder Körperteile eine wichtige Rolle. Unwillkürlich erscheint diese mit geradezu bürokratischer Systematik und zwanghafter Ordnungsliebe betriebene Destruktion nicht nur als persönliche Obsession, sondern auch als Metapher für ein aus dem außerkünstlerischen Alltagsleben bekanntes Phänomen. Ritualisierte Aggression ist das Thema, das die sehr verschiedenen Arbeiten unterschwellig miteinander verbindet. Die Künstlerin besitzt die Fähigkeit, den zerstörerischen Impuls zu sublimieren, zu ästhetisieren und auf diese Weise kreativ nutzbar zu machen.

Nikolaus Jungwirth

smolka

Bibliothek III, 2002  

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Fassadenschnitte II, 2002      

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Seitenwechsel, 2002