Dieter Rogges Italienische Landschaften sind nach Schwarz-Weiß-Fotografien in älteren Bildbänden entstanden. Die Aufnahmen haben bereits Patina angesetzt. Sie zeigen teils geschichtsträchtige Regionen, schließen somit an einen traditionsreichen romantischen Blick auf antike Stätten an, dokumentieren eine bereits vergangene topographische Situation und einen historischen Blick. Die Serie spiegelt ein Grundkonzept des Bremer Künstlers wider. Rogge greift für seine Zeichnungen stets auf medial in die Fläche übersetzte Landschaftsräume zurück.

Was ihn an älteren Fotografien reizt, ist neben der hohen technischen Qualität, der Aura und der stufenreichen Schwarz-Weiß-Modulation der geringe Grad an Inszenierung. Je zurückgenommener der kompo­sitorische Ehrgeiz der Aufnahmen, je offener und neutraler der fotografische Blick, desto mehr Projektion und Illusion lassen die Aufnahmen zu.
Rogge wählt zumeist Motive aus, in denen Natur und Architektur miteinander korrespondieren. Die Kulturlandschaft ist somit Thema. Natur vereinigt sich mit Splittern der Geschichte. Gebäude ziehen als Relikte eine zeitliche Ebene mit ein und rücken das Verhältnis des Menschen zur Natur durch die Epochen in den Blick. Sind die Fotografien zumeist durch ein pittoreskes Ensemble von Landschaftselementen und zivilisatorischen Spuren bestimmt, löst sich in den Zeichnungen die vermeintliche Harmonie auf.

Elemente von Natur und Architektur sind in skizzen­hafte, häufig schroffe Kürzel umgewandelt, die ein fragmentarisches Nebeneinander mit zahlreichen Leer­stellen bilden. Bäume treten als blockhafte Gebilde auf, Anhöhen als dynamische Schraffurenbündel, Häuser als Zusammenballung offener tektonischer Gebilde. An die Stelle von Wegen, Baumketten oder Hügelkämme tritt ein in sich bewegtes, innerlich vibrierendes Liniengewebe, das weniger Ordnung als Reibung und rätselhaften Puls vermittelt.
Obwohl Rogges Zeichnungen unmittelbar als Landschaften erkennbar und lesbar sind, hebeln sie doch das herkömmliche Landschaftsbild aus. Sie versuchen erst gar nicht, das Objekt als Einheit zu erschließen.
Sie suchen nicht den Zusammenhang, sondern akzentuieren Leerstellen und Offenheit. Teile werden isoliert, herausgehoben, neue Gewichtungen, Bündelungen und Richtungen entstehen. Der Künstler macht die Brüche in der Kulturlandschaft zum Bestandteil der Darstellung und thematisiert gleich die Reibungen und Widersprüche in der Landschaftsbetrachtung mit.

Rilke setzt sich in der Einleitung seiner Worpswede-Monographie mit der Landschaft auseinander. Er thematisiert vor allem die Distanz zwischen Mensch und Natur, eine Fremdheit, die besonders dadurch gekennzeichnet ist, dass sich der Mensch in einer Landschaft allein fühlen muss, die allein ihren Gesetzen folgt. Selbst wenn der Mensch die Natur seinen Bedürfnissen anzupassen versucht, ruht diese doch ganz in sich und schüttelt periodisch die zivilisatorische Überlagerung ab.

Vertrautheit und Fremdheit begegnen sich in Rogges Zeichnungen auf Augenhöhe. Eine Aneignung des Landschaftsbildes und der Landschaft vollzieht sich in seinen Zeichnungen in Form von Auflösung, Entfernung und potenzieller Neuentdeckung. Rogge lässt den Betrachter an der Suche nach einer gemeinsamen Sprache zwischen Mensch und Natur, nach einem Austausch zwischen Landschaft und Zivilisation teilhaben.

Der Konstruktionscharakter des Landschaftsbildes spiegelt sich in den fragmentarisch-fragilen Kompositionen physisch greifbar wider. In die Nachzeichnung des Fotos mischen sich subjektive Landschaftserinnerungen und das individuelle Zeichen- und zeichnerische Repertoire. Der den im Gedächtnis eingelagerten Erfahrungen eigene Abstand grundiert einen Neuentwurf, in dem verschiedene Filter wirksam werden. Erinnerung heißt Verschiebung, Veränderung, Verfälschung, Idealisierung, Verklärung. Rogge inszeniert einen Austausch zwischen der Freiheit der Komposition und der Fremdheit der Landschaft. Die Energie seiner Arbeiten speist sich aus der Distanz zwischen Mensch und Natur und zugleich aus der Vorstellung, diese Entfernung ließe sich mit ästhetischen Mitteln minimieren.


Dr. Rainer Beßling
Kulturjournalist, Syke

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Arbeiten auf Papier, 2011