Das Werk Peter-Jörg Splettstössers weist viele Facetten auf. Zugleich verfolgt der Künstler ästhetische Grundfragen und Strategien mit großer Konsequenz. Seine Arbeit in Serien, teils über Jahrzehnte fortgesetzt, gleicht Versuchsanordnungen, in denen Thesen überprüft werden und in die neue Erfahrungen einfließen. In dieser Ausstellung finden sich Beispiele aus drei Werkgruppen, die thematisch miteinander verknüpft sind.

In seinen Fensterbildern nähert sich Splettstößer der Wirklichkeit in einer Art ›Rasterfahndung‹. Vor den Fenstern verschiedener Ateliers, in Worpswede, Amsterdam oder Paris, stellt der Künstler Gitter auf. Nur ein Feld ist frei, die anderen sind abgedeckt. Quadrat um Quadrat, Reihe um Reihe rückt der Maler in seiner Wahrnehmung und in seinem Bildaufbau vor. Veränderungen im Stadtbild werden mit aufgenommen, der Wechsel des Lichts schlägt sich nieder, aber auch die Entwicklung des Blicks und der Komposition selbst wird zum Thema.

Splettstößer greift mit dem Fensterblick ein altes und fundamentales Thema der Malerei auf. Das Bild selbst wird traditionell als Fenster verstanden, das Fenster repräsentiert den spezifischen Blick des Künstlers auf die Wirklichkeit, verbindet Innen- und Außenraum, Objekt und Subjekt. Es steht als Sinnbild für eine Realitätssicht als individuelle Vision, macht Öffnung, zugleich aber auch Begrenzung deutlich. Damit verweist das Fensterbild auf eine Grundbedingung der Wahrnehmung. Unser Blick ist räumlichen und zeitlichen Beschränkungen unterworfen. Er nimmt nur Ausschnitte und Abschnitte wahr. Der Künstler begreift dies nicht als Mangel, sondern wertet den Ausschnitt als positive Fokussierung, zugleich als Abwehr gegen visuelle Überwältigung. In der Reduktion sieht er das Potenzial zur Konzentration. Dabei kann er sich auf Baudelaire berufen: »Die menschliche Aufmerksamkeit ist umso stärker, je begrenzter sie ist und je mehr sie ihr Beobachtungsfeld einschränkt. Schlecht fasst, wer nach zu vielem greift.«

Splettstößer verhindert mit seiner malerischen Strategie, dass Wahrnehmung auf einen Zusammenhang hin organisiert wird, bevor die Elemente in ihrer eigenen Zuständigkeit wahrgenommen sind. Wir versuchen, unsere Eindrücke in einen Kontext zu stellen, fügen Neues in bestehende Raster ein, gleichen spontane Eindrücke mit abgelegten Standards ab. Wir konstruieren Zusammenhänge um den Preis einer Nivellierung von Details. Wir versuchen Brüche auszugleichen, Abweichungen einzufangen. Aber erst die Brüche und Randphänomene machen aufmerksam auf die labile Konstruktion von Einheit.

Der Maler setzt sich seinen Ausschnitt selbst, gibt seinem Blick einen Rahmen, bringt die ausschnitthafte Wahrnehmung wie ein filmisches Band als raum-zeitliche Folge auf den Bildträger. Zugleich filtert und wertet er die einzelnen Elemente seiner Wahrnehmung nicht nach deren Eignung für die künstlerische Produktion. Was sich seinem Auge zeigt, ist für die Malerei gleichwertig. »Ich male, was ich sehe und stelle mir mit dem und bei dem Malen die Frage, was ich wie sehe. Die Malerei ist Reflexion der Erfahrung und vollkommen eigenständiges Produkt.«

In der Parzellierung des Fensterbildes werden der konstruktive Charakter des Überblicks, die Flüchtigkeit und die Folgen einer Gesamtschau sinnfällig. Zugleich deutet die kompositorische Folge an, wie sich das Bild von der realen Vorlage löst, wie es Eigenleben und Eigendynamik gewinnt. Diesen Abstraktionsprozess, der auf inneren Bildern, spezifischen Wahrnehmungs­modi und individuellen Gestaltungsstrategien des Künstlers beruht, macht Splettstößer auch in Leinwandgesprächen deutlich, in denen ein Fensterbild neben einer geometrisch reduzierten Komposition steht. So findet sich ein graues Raster mit regelhaft eingestreuten roten Quadraten in konkret haptischem Objektcharakter sowie meditativer Anmutung im Dialog mit additiver Wahrnehmungswirklichkeit. Allerdings liegt auch dem vermeintlich konstruktivem grauen Feld Gesehenes zugrunde: der Fußboden des Ateliers. Dieser Verweis auf formale Verwandtschaften erinnert an Splettstößers Werkgruppe der Kartengespräche, in der Kunstpostkarten in einen Dialog gebracht und so assoziativ ästhetische Korrespondenzen über Epochen und Gattungen hinweg inszeniert werden. Etwa in einer Gegenüberstellung von Cranachs magisch reduzierten Figurenbildnissen und Mondrians Abstraktionsverfahren.

Zu Splettstößers grundlegenden Strategien, von denen eingangs die Rede war, gehören Raumformulierungen, widergespiegelt in den Fensterbildern: Raum erfassen, Raum abstecken, Raum begrenzen, Raum beschreiben und bestimmen, zudem über den erfahrbaren Raum hinausgehen, einen ästhetischen Raum bauen, einen Raum, der zeigt, dass es eine atmosphärisch erfahrbare und erfassbare Räumlichkeit gibt.

Einen weiteren zentralen Strang bilden die Lichtformulierungen. Zum kompositorischen Prinzip werden sie in den hier ausgestellten Papierarbeiten. Licht und Farbe sind Auslöser einer spezifischen Wahrnehmungsqualität. Die Bildebene ist über eine energe­tische Wirkung mit der Empfindungsebene verbunden. Farbe ist nicht nur dort, wo wir sie lokalisiert sehen, sondern zugleich im Raum. Splettstößer löst in seinen spontan gesetzten, in der Regel von musikalischen Eindrücken rhythmisierten Zeichnungen die Farbe vom Gegenstand und lässt sie als Flecken und Pinselhiebe auftreten, demonstrativ als künstlerische Wahrnehmung und Setzung, frei schwebend als Raum- und Bildklima. Splettstößers Werkbegriff geht über das hinaus, was sich im Bild manifestiert. Bedingungen und Wirkungen der Wahrnehmung und Komposition sind stets selbst Thema.


Dr. Rainer Beßling
Kulturjournalist, Syke

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Fensterbilder, 2011/2012

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Arbeiten auf Papier, 2011